Oberkirch (brx). Betrachtet man die Kunstszene in der gesamten Ortenau in den Jahren um 1980, so ergibt sich ein wenig ermutigendes Bild. Für die Künstler gab es nur sehr traditionelle Ausstellungsmöglichkeiten, etwa in Rathäusern und Sparkassenhallen. Die großen Zentren waren rar gesät: Baden-Baden mit seiner Kunsthalle, in Freiburg gab es das Augustinermuseum. In Straßburg überragte das Münster jegliche Moderne. Offenburg fiel kaum auf mit Aktivitäten zur aktuellen Kunst: Der Künstlerkreis Ortenau wurde gerade gegründet, auf den Kunstverein Mittelbaden musste man ebenso noch warten wie auf die Städtische Galerie.

Und Oberkirch? Das Bild des Künstlers wurde von zwei „Erscheinungen“ geprägt, die gegensätzlicher nicht hätten sein können. Auf der einen Seite der dominante Leo Kohle (1904 – 94), der bis 1972 Kunsterzieher am örtlichen Gymnasium war und maßgeblich den Eindruck der modernen Kunst im Renchtal prägte. Andererseits der aus Polen stammende Josef Juszkiewicz (1918 – 2005), der ebenfalls einige Jahre an der Realschule Kunst unterrichtete, ansonsten aber mit seiner Frau Margret zurückgezogen in der Renchener Straße lebte.

Dabei hätte vor allem Kohle auf eine Pioniertat direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hinweisen können: Die 1945 gegründete Vereinigung „Schaffende Künstler im Renchtal“ war eine der ersten Künstlergruppen in der gesamten Westzone des zerstörten Landes. Die Kerngruppe von sieben Künstlern um Georg Matthey, Paul Siebert, den Bildhauer Albert Jogerst und eben Kohle veranstaltete bis in die frühen 50er-Jahre Ausstellungen.

Es waren vor allem die Kunstpädagogen, die einen Kunstbegriff über die schulischen Grenzen hinaus in die Gesellschaft trugen. Das nächste Ausbildungszentrum war die renommierte Karlsruher Kunstakademie, die auch für die Ausbildung von gymnasialen Kunsterziehern zuständig war. Kohle hatte dort in den 1920er-Jahren studiert, ebenso wie später Siebert, der danach nicht mehr in seine Heimatstadt zurückkehrte.

Die sich von 1982 an bildende Gruppe der Oberkircher Künstler folgte mehrheitlich diesem Schema. Heinz Schultz-Koernig war 1973 nach seinem Studium in Karlsruhe nach Oberkirch gekommen, ebenso wie später Gabi Streile und Rainer Braxmaier. Fritz Albrecht hatte in Stuttgart studiert, Manfred Grommelt in Braunschweig. Beide arbeiteten als Kunsterzieher in Achern, lebten aber in Oberkirch. Rainer Nepita hatte freie Kunst an der Außenstelle Freiburg der Kunstakademie Karlsruhe studiert und kam 1982 nach Oberkirch. Werner Schmidt schließlich, der in Oberkirch zur Schule ging und wie sein Klassenkamerad Grommelt eine frühe Prägung durch Kohle erhielt, entschied sich für ein Studium des Grafik-Designs an der Fachhochschule für Gestaltung in Pforzheim und eröffnete Anfang der 1980er Jahre eine Werbeagentur in Oberkirch, ehe er sich Mitte des Jahrzehnts für die freie Kunst entschied. Allen Mitgliedern dieses „Oktogons“ war gemeinsam, dass sie – jeder auf seine individuelle Weise – an die gesellschaftliche Wirkung von Kunst glaubten, und sich über ihr eigenes künstlerisches Werk hinaus für die Verbreitung aktueller Kunst in der Öffentlichkeit engagierten.

Zornige Reaktionen

Um 1980 befand sich die Kunst in Oberkirch noch im Dornröschenschlaf. Alle zwei Jahre gab es eine Gruppenausstellung in der Stadthalle mit Renchtäler Künstlern. Als Rainer Braxmaier 1978 in die Stadt kam, stellte er sich beim Leiter des Kulturamtes, Herrmann Josef Müller, vor und bat darum, an der Ausstellung teilnehmen zu dürfen. Als er einem Freund aus Stuttgart seinen Beitrag in der Ausstellung zeigte, sprach ihn ein anderer Besucher vor seinen Bildern an: “Sagen Sie, wer das gemalt hat, der gehört doch ins Irrenhaus!“

Doch neben allem Überlieferten machte sich zunehmend ein Aufbruch zu neuen künstlerischen Zielen bemerkbar. Es war eine junge Generation herangewachsen, die sich nicht mehr mit den Errungenschaften des Wirtschaftswunders begnügen, sondern ihre eigenen Ideale verwirklichen wollte. Neben der tradierten Vereinskultur gab es  bizarre Figuren in der Stadt. Wie das Beispiel des Schauspielers und Wirtes Axel Ganz zeigte, in einer einzigartigen Verbindung von Glamour und Bodenständigkeit. Axel Ganz, der eigentlich Helmut hieß, war 1937 geboren worden. Er wuchs mit seiner Mutter Hedwig im „Adler“ in Gaisbach auf, ging dann nach Paris, erlernte das Kochhandwerk und die Schauspielerei. Wieder nach Oberkirch zurückgekehrt, führte der später offen homosexuell Lebende das Gasthaus mit seiner Mutter weiter und drehte einige Filme.

Diese unkonventionelle Künstlergestalt zog viele intellektuelle und kreative Geister an – der „Adler“ wurde zu einem beliebten Treffpunkt der alternativen Gesellschaft. Und wenn „Tante Hedwig“ in besonders guter Stimmung war, setzte sie sich ans Klavier und spielte die immer gleichen drei Stücke. In dieser Melange aus Tradition und Alternativkultur fanden sich zu Beginn der 1980er Jahre junge Künstler zu ersten gemeinsamen Aktionen zusammen. Die „Renchtäler Sagen“ wurden schon 1981 vorbereitet und gingen im September 1982 über die Bühne. Niemand hätte geglaubt, dass die damals geknüpften Verbindungen über vier Jahrzehnte halten und der Region zahlreiche Kunstereignisse bescheren würden.

Zusammengefasst ist dies im Buch „Kunst aus Oberkirch, 1982 – 2022“, 215 Seiten, gebunden, in allen Buchhandlungen erhältlich.

In der zweiten Folge geht es um die Mappe „Renchtäler Sagen“.